100
Die deutschen Landschaften.
der Bevölberung geredet. Die genannten Sprachen gliedern sich
wieder in viele Mundarten, deren Entstehung die Naturbe-
schaffenheit des Landes sehr begünstigte. Fast in jedem Thale
hat sich infolge der Absonderung, in der die Bewohner zu leben
gezwungen sind, eine eigenartige Sprache herausgebildet. Das
Schweizerdeutsch wird zur a 11 e m a n n i s c h e n oder ober-
rheinischen Mundart gerechnet.
Ein Hauptkennzeichen der schweizerischen Sprache ist der eigentümliche
Laut ch, der sehr tief in der Kehle gesprochen wird, so dass gleichsam ein ver-
schlucktes a erklingt; als ch wird auch das anlautende h gesprochen, wenn es
einem l, n oder r vorangeht. Durch das Vorherrschen rauher Hauch- und
Zischlaute klingt zwar die Sprache der Schweizer etwas rauh; sie gewinnt
jedoch durch eine grosse Modulation der Stimme viel Angenehmes.
Eigenartig schön ist das Jodeln heim Gesänge.
Der Schweizer besitzt einen kräftigen Körper, den
namentlich der Alpenbewohner durch harte Arbeit ausdauernd und
widerstandsfähig macht. Seine Kör per grosse ist im allgemeinen
nicht bedeutend. Wahrscheinlich ist bei vielen Bewohnern der
kleine Wuchs der übermässigen Körperanstrengung in der Jugend
zuzuschreiben; bei manchen mag aber auch eine ungenügende oder
einseitige Ernährung auf das Wachstum hemmend einwirken. Wie
dem Schweizervolke im allgemeinen ein schöner Wuchs abgeht, so
können wir bei ihm auch nicht von einer besondern Schönheit der
Gesichtszüge reden. Die derben Gesichtszüge der Frauen
fallen umso mehr auf, als diese teils durch den Einfluss des rau-
hen Klimas, teils durch übermässiges Arbeiten früh ihre Jugend-
frische einbüssen.
Die Schweizer waren früher zum weitaus grössten Teile ein
Hirtenvolk, und auch heute bildet die Viehwirtschaft ihre Haupt-
beschäftigung. Ihre Vorfahren waren gewohnt, in ihren Bergen
frei und unabhängig von einander und von andern ihrer Beschäf-
tigung obzuliegen. Das grosse Freiheits- und Unabhängig-
keitsgefühl, das sich unter solchen Lebensverhältnissen aus-
bilden musste, ist auch heute noch ein Hauptzug des schweizeri-
schen Volksgeistes. Mehrmals haben die Schweizer in der Ge-
schichte ihren Mut und ihre Tapferkeit, Eigenschaften, die
der Verkehr mit einer gefahrdrohenden Natur in ihnen zur Ent-
wicklung bringt, bewiesen. Mit dem lebhaften Freiheitsgefühle, dem
Mute und der Tapferkeit hängt die Vorliebe für körperliche
Ue bung en, besonders für das Waffenhandwerk zusammen;
letztere Vorliebe mag in früherer Zeit bei vielen auch durch den
leidenschaftlichen Hang zur Jagd, namentlich zur Gemsjagd, genährt
worden sein. Einerseits der Kampf mit den Naturgewalten, ander-
seits der harte Lebenskampf, den die an Zahl immer stärker wer-
dende Bevölkerung führen musste, um dem Gebirgsboden das zum
Leben Nötige abzuringen, haben die geistigen Kräfte des Schweizers
gestählt und seinen Erfind u n g s - und Unternehmungsgeist
ausgebildet. Den eigentlichen Alpenbewohnern bot ferner die lange
Winterruhe die Zeit und die Anregung, sich in allerlei Handfer-
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T70: [Boden Teil Land Wald Gebirge Ebene Gebiet See Klima Tiefland], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter]]
TM Hauptwörter (200): [T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen]]
Die Schweizer Hochebene.
101
tigkeiten auszubilden. Dass der im engen Verkehr mit einer
so grossartigen und an Naturschönheiten so reichen Natur auf-
wachsende Schweizer von grosser Liebe zu seiner Heimat
beseelt ist, erscheint selbstverständlich; desgleichen erklären sich
aus dem Lebensverhältnisse der Bewohner zu einer gefahrdrohen-
den Natur, aus dem das Gefühl der Abhängigkeit entspringen muss,
und aus dem Lebensverhältnisse der Bewohner zu einander, das
die gegenseitige Hilfeleistung bedingt, zwei andere, das Schweizer-
volk ehrende Tugenden, nämlich Frömmigkeit und Mildthä-
tigkeit. Endlich verdient an dem Schweizer noch das freund-
liche und gastliche Entgegenkommen, das er gegen
Fremde zeigt, gerühmt zu werden. Wer als Besucher des schönen
Schweizerlandes die den schlechten gegenüber bedeutend vorwie-
genden guten Eigenschaften seiner Bewohner kennen gelernt hat,
kann nicht heimkehren, ohne diesem in seinen Bergen abgeschlos-
senen Volke auch für die Zukunft das bisherige Glück und die
bisherige Zufriedenheit in den meist bescheidenen Lebens-
verhältnissen zu wünschen.
3. Die Betrachtung der staatlichen Verhält-
nisse in der Landschaft.
a. Die staatliche Zusammengehörigkeit der einzelnen Gebiete.
Die Gebiete der Schweizer Hochebene sind zu dem Staaten-
verband e der Schweiz vereinigt. Dieses Land gehörte früher
zu Deutschland. Die Anerkennung des Schweizer-
bundes als selbständiger Staat erfolgte im Jahre 1648 beim
Friedensschlüsse des 30jährigen Krieges.
Die Grenzen der Schweiz folgen fast überall der natür-
lichen Abgrenzung der Landschaft. Im Westen zieht sich die
Landesgrenze über den Jura hin; im Norden wird sie durch den
Rhein lauf und den Bodensee gebildet, und nur ein kleiner
Bezirk um Schaffhausen reicht über den erstem hinaus, während
umgekehrt die am schweizerischen Ufer jenes Sees gelegene Stadt
Konstanz zum deutschen Reiche gehört; im Osten zieht sie sich
wieder eine Strecke weit am Rheine vorbei, im Süden aber
reicht sie stellenweise sehr weit über das Rhein-Rhônethal
hinaus, und erst am Genfer See tritt sie wieder in den Rahmen
der Landschaft zurück. Die benachbarten Staaten sind im Westen
Frankreich, im Norden das deutsche Reich, im Osten
Oesterreich und im Süden Italien.
Die Schweiz nimmt eine Fläche von 41419 qkm ein und
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T44: [Alpen See Stadt Schweiz Italien Meer Berg Insel Fuß Inn], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T93: [Alpen See Schweiz Rhein Berg Bodensee Fuß Italien Schweizer Paß], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T61: [Mill Staat Deutschland Reich Europa deutsch Million Land England Einwohner], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde]]
TM Hauptwörter (200): [T139: [Donau Rhein Main Tiefebene Teil Jura Alpen Tiefland Gebiet Fluß], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T68: [Schweiz Zürich Kanton Bern See Stadt Genf Basel Schweizer Schwyz], T78: [Mill Staat Million Deutschland Reich Europa Einwohner Land Jahr deutsch], T24: [Luft Wasser Wärme Körper Erde Wind Regen Höhe Temperatur Schnee]]
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Rhein Konstanz Rheine Rhein-Rhônethal Frankreich Oesterreich Italien
126
Die deutschen Landschaften.
Das oberdeutsche Bauernhaus, wie es in den baye-
rischen Alpen (und im Schwarzwalde) vorkommt, hat in seiner
äussern Erscheinung noch etwas Aehnlichkeit mit dem Schweizer
Hause ; es weist aber nicht den reichen Holzschmuck auf und unter-
scheidet sich auch durch seine innere Einrichtung. Scheune und
Stallungen sind mit dem Wohnräume immer unter einem Dache
vereinigt. Letztere liegen an der vorderen Schmalseite, erstere
nimmt den hintern Raum ein, dazwischen befinden sich die Stal-
lungen. Gewöhnlich ist das Gebäude auf einem nach hinten an-
steigenden Platze errichtet, so dass die Einfahrt zur Scheune höher
liegt als der Eingang zu den Wohnräumen.
Die Landschaft ist von zwei Volksstämmen bewohnt. Die
Bewohner des grössern östlichen Teiles gehören dem bayerischen,
die des kleinern westlichen dem schwäbischen Volkstamme
an. Der Lech, dessen sumpfige Ufer dem Verkehr grosse Schwie-
rigkeiten entgegensetzte, bildet zwischen beiden die Völker- und
Sprachgrenze. Während auf der Westseite dieses Flusses, im
schwäbischen Lande, sehr viele Ortsnamen, wie Memmingen,
Dillingen, Sigmaringen, Tuttlingen u. s. w. auf „in g en" enden,
kommt diese Endung auf seiner Ostseite, im bayerischen Lande,
nicht mehr vor.
Die bayerische Mundart, mit der auch die öster-
reichische und die osttirolische Mundart nahe verwandt
sind, hat einen breiten, näselnden Ausdruck. Der Bewohner der
Ebene spricht langsam, der des Gebirges um so schneller. Viele
Endlaute werden verschluckt, die Zischlaute aber scharf gesprochen ;
sehr hart klingt das ch der Gebirgsbewohner. (Ueber die schwäb.
Mundart s. folg. Landsch.)
Am Anfange der Wörter lauten sp = schp, st = seht, g—jc. Ausgeworfen
oder verschluckt werden namentlich die Mitlaute l, n und r. Eigentümlich sind
der bayerischen Mundart auch die Doppellaute oa, ea und ua für ei, i und u.
Der Bayer hat einen mittelgrossen, kräftigen und
stämmigen Körberbau. Seine lebhafte Gesichtsfarbe weist
schon auf sein schnell aufbrausendes Wesen hin. Von dem reich-
lichen Biergenusse abgesehen, ist die Lebensweise der Bewohner
einfach. Ihre Nahrung besteht vorwiegend aus Mehl-, Milch- und
Schmalzspeisen; Fleisch ist für die meisten eine Festtagsspeise.
Im Verkehr mit den Bewohnern lernen wir an diesen ähn-
liche Volkseigenschaften wie beim Schweizer kennen. Besonders
gilt dies von den bayerischen Alpenbewohnern, die ebenfalls M u t
und Unerschrockenheit und ein grosses Freiheitsgefühl
mit Anhänglichkeit an die Hei m at und frommem Sinn
(Passionspiele von Obberammergau) verbinden. Manche Eigen-
schaften sind bei den Bayern vielleicht etwas zu stark ausgegrägt.
Der Mut thut sich oft in Rauflust kund, das Unabhängigkeits-
gefühl steigert sich bei dem reichen Bauern, der wie ein unbe-
schränkter Gebieter auf seinem von den Vätern ererbten Gute sitzt,
zum unbändigen Stolze, die Anhänglichkeit an heimatliche Sitten
TM Hauptwörter (50): [T18: [Gebirge Berg Teil Rhein Höhe Wald Fluß Alpen Seite Donau], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T91: [Haus Fenster Wand Stein Dach Zimmer Holz Feuer Raum Decke], T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T5: [Rhein Main Wald Thüringer Teil Schwarzwald Gebirge Neckar Saale Jura], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend]]
TM Hauptwörter (200): [T139: [Donau Rhein Main Tiefebene Teil Jura Alpen Tiefland Gebiet Fluß], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T125: [Haus Stein Fenster Dach Holz Stroh Winter Erde Wand Wohnung], T188: [Handel Industrie Ackerbau Land Viehzucht Bewohner Gewerbe Bevölkerung Stadt Bergbau]]
Vorwort.
Vii
Fällen wenigstens, infolge ihrer trefflichen Anpassung, für das
fremde Volk eine Kraft, einen hohen Wert bedeutet. So tadeln
und nörgeln wir, anstatt die Augen weit, recht weit zu öffnen,
zu schauen und zulernen. Was nach einer strengen Selbst-
prüfung im Lichte auch des Fremden und anders Ge-
arteten von den Einrichtungen der Heimat, des Vater-
landes die Probe besteht, das darf dann doppelt unser
Stolz sein. Eine Vaterlandsliebe aber, die, vom Selbsttruge
frei, mit der Wärme des Empfindens auch die Klarheit des Denkens
und des Urteils verbindet, ist für das eigene Volk ein heller Leit-
stern durch das Dunkel des Völkerschicksals, ein Schutz in glück-
lichen, ein kluger Ratgeber in schlimmen Zeiten. Die erdkundliche
Wissenschaft und der erdkundliche Unterricht sind mit berufen, eine
solche Vaterlandsliebe zu begründen, indem sie den Gesichts-
kreis des Volkes erweitern und die enge Kirchturmsweisheit
zu einer weitblickenden Weltkenntnis vertiefen. Mit diesem Schluss-
worte übergebe ich den vorliegenden Ii. Band des Lehrbuches allen
Lehrern und Freunden der Erd- und Völkerkunde, zugleich um eine
wohlwollende und nachsichtige Prüfung bittend.
Bonn, Herbstferien 1900.
Heinrich Kerp.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T66: [Geschichte Iii Vgl Nr. Aufl Gesch Lesebuch Bild fig deutsch], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T29: [Geschichte Geographie Nr. Erdkunde Lesebuch Bild Iii allgemein Lehrbuch deutsch], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T164: [Sonne Erde Mond Tag Stern Planet Zeit Himmel Jahr Bewegung]]
164
Das Französische Mittelgebirge und Flachland.
und zählt 6000 E. Sie steht unter der Schutzherrschaft
Frankreichs und des spanischen Bischofs von Urgel. Das
Fürstentum Monaco, an der Riviera gelegen, ist eine unbe-
schränkte, erbliche Monarchie und hat auf 21,6 qkm 15000 E.
Mit Frankreich steht es im Zollverbande.
!!. Geistige Kultur: Geistesleben, Bildungswesen und
Religion.
Ein sonniger Heimathimmel, eine fruchtbare Heimaterde und
eine grosse Geschichte, die trotz mancher Unglückszeiten doch
reich ist an glücklichen Wendungen, haben in dem französischen
Volke manche vorteilhafte und unvorteilhafte Eigenschaf-
ten zur Entwicklung gelangen lassen. Der Franzose zeichnet
sich durch seinen lebhaften Geist, durch seine frohe Lebens-
lust, durch seine angenehmen, gewandten Verkehrsformen
und durch seine glühende Vaterlandsliebe aus. Sein Volk ist
ihm die grande nation (— grosse Nation), deren gloire (=Ruhm
und Ehre, besonders Kriegsruhm) die aller andern Völker weit
überstrahlt. Jede dieser Eigenschaften, so wertvoll sie an sich
sind, kann leicht ausarten und sich zu einer schädlichen Eigen-
schaft entwickeln. Die Lebhaftigkeit des Geistes, die eine
so schöne, herrliche Sprache aus dem Munde hervorsprudeln
lässt, und die so grosse Leistungen auf dem Gebiete der
Litteratur, der Kunst und Wissenschaft zeitigte, führt, so-
bald es an der nötigen Tiefe des Denkens fehlt, zu einem wankel-
mütigen und wetterwendischen Sinne, den schon Cäsar an
den Galliern tadelt. Die frohe Lebenslust, die das Leben ziert
und verschönert, läuft Gefahr, sich zu einem schädlichen Leicht-
sinne zu entwickeln, der am Lebensmark der Familie und des
Staates nur noch zehrt. Der feine Sinn für schöne Umgangs-
und Lebensformen, der den Umgang mit Franzosen so überaus
angenehm gestaltet, treibt im Leben häufig auch die schädliche
Blüte der Eitelkeit. Am schlimmsten wirkt diese, wenn sie
sich mit patriotischen Ideen verkörpert, wenn sie den Blick trübt
für das Erkennen der eigenen Fehler und verschliesst für das
Erkennen der Vorzüge fremder Völker. Das übermässige Selbst-
lob, das immer aus dem Hurrah-Patriotismus hervorgeht, trägt an
manchen Schicksalsschlägen, die das französische Volk getroffen
hat, wenigstens einen grossen Teil der Schuld.
Die erwähnten Eigenschaften haften dem französischen
Volke nicli't gleichmässig an. Zwischen den französischen
Völkerschaften bestanden in der Vergangenheit viel
grössere Unterschiede, als sie zwischen den deutschen
Volksstämmen je hervorgetreten sind. Der Gegensatz
zwischen Süd und Nord war in Frankreich stärker als in Deutsch-
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
TM Hauptwörter (100): [T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T9: [Krieg Deutschland Reich Frankreich Preußen Macht Zeit Kaiser Jahr Frieden]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende]]
Extrahierte Personennamen: Cäsar
Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Frankreich Nord Frankreich
446
Die Pyrenäen-Halbinsel.
Ii. Geistige Kultur: Geistesleben, Bildungswesen und
Religion.
Auf die geistige Eigenart der Bewohner der Pyrenäen-
Halbinsel wirkten die Natur des Landes, die Mischung der
Völker und der Gang und die Ereignisse der Geschichte
ein. Das warme Klima schuf besonders beim Südspanier,
desgleichen beim Katalonier, das nämliche heissbllitige Tem-
perament wie beim Süditaliener. Der Bewohner des Tafel-
landes ist kälter. Umso mehr prägt sich bei ihm der Stolz
aus, das Erbgut der grossen Geschichte, die sich an den
Namen Castilien knüpft, das Ergebnis der Herrscherrolle,
die der Spanier über die Völker der neuen Welt spielen konnte,
und der Fülle des Reichtums, die ihm ohne Arbeit aus jener
zufloss. Der lange Kampf mit den Arabern, der zugleich ein
Kampf des Kreuzes gegen den Halbmond war, erzeugte den reli-
giösen Fanatismus, der noch heute in Spanien die schlimmsten
Blüten treibt. Vom Arabertum, das so blutig bekämpft wurde,
nahm das spanische Volk auch manche geistige Züge an, so den
muhamedanischen Glauben an das Fatum, an' ein dunkles
Verhängnis. Dieser Glaube ist so stark ausgebildet, dass selbst
ein Minister Ingenieuren, die Vorschläge über die Schiffbarmachung
der spanischen Ströme machten, die Antwort geben konnte: „Hätte
es Gott so gewollt, so würden die Schiffe auch ohne unser Zuthun
schiffbar sein". Die drei genannten Grundübel der spani-
schen Volksseele sind die Hauptursache des geringen
geistigen Fortschritts, und da ein reges Geistesleben zugleich
die Hauptstütze des wirtschaftlichen Lebens ist, auch der wach-
senden Armut trotz der reichen Hilfsmittel des Landes. Der
hochfahrende Stolz weckt die Arbeitsscheu, die wieder leicht zur
Unredlichkeit führt, und lässt ferner die vorbildlichen Lei-
stungen anderer Völker unbeachtet. Der religiöse Fana-
tismus unterstützt diesen Stolz und die Geringschätzung des viel
höher stehenden Fremden und erhält selbst wieder einen schlimmen
Bundesgenossen an dem Fatalismus, der die Selbstzufrieden-
heit predigt und den letzten Rest des geistigen Lebens zu ersticken
droht. Diese geistige Eigenart ist am schärfsten auf dem Tafel-
lande, am wenigsten im Katalonier, der mehr dem Südfranzosen
ähnelt, ausgeprägt, schwächer auch im Portugiesen, dessen koloniale
Thätigkeit nicht so einseitig im Herrschen bestand.
Vergessen wir jedoch auch nicht die guten Eigenschaften
der spanischen und portugiesischen Volksseele. Der Stolz zeigt auch
seine ritterlichen Eigenschaften und macht den Verkehr zu
einem sehr angenehmen. Die Ritterlichkeit des Spaniers geht so
weit, dass er z. B. auf Reisen von seinen Vorräten nicht eher etwas
geniesst, bis er davon den Mitreisenden angeboten hat. Auch dem
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T126: [Land Handel Europa Meer Osten Zeit Westen Volk Deutschland Jahrhundert]]
46
Das Hochgebirge der Alpen.
und jedes Urteil muss sich unter die Vergleichsgegenstände dieser
engen Welt beugen. Infolgedessen finden wir bei den Alpenbe-
wohnern im allgemeinen einen beschränkten geistigen Blick,
ein starres Festhalten am Alten, neben dem ja niemals
etwas Besseres çrstrahlt, ein Festhalten sowohl an den überlieferten
Einrichtungen, Sitten und Gebräuchen, als auch an den in der
Volksseele wurzelnden Anschauungen. In der Erhaltung der
Volkstrachten (s. letzten Abschnitt), in denen fast jedes Thal
irgend eine Eigenart bewahrte, in dem Feiern alter Volksfeste,
die ihren Ursprung oft in den fernsten Zeiten haben, in der
Pflege der lokalen undnationalensage undgeschichte,
in der treuen Anhänglichkeit an Thron und Altar giebt
sich dieser Geist zu erkennen. Er hat als Volksgeist seine Licht-
und seine Schattenseiten. Das Wirtschaftsleben hat einen
gesunden Kern und bewegt sich in festgefügtem Rahmen,
macht aber von neuen technischen Hilfsmitteln und neuen Methoden,
die einen fördernden Einfluss ausüben könnten, nur einen be-
schränkten Gebrauch; die Heimat- und Vaterlandsliebe ist
eine warme und in Stunden der Gefahr schwingt sie sich, wie
noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts der Aufstand der Tiroler
gegen die französischen Eroberer bewiesen hat, zu Heldenthaten
auf, aber politische Strömungen, die der Zeitgeist hervorbrachte,
werden, vielleicht zum Schaden des Volkswohls, zurückgedrängt;
das ruhige und gleic h m ässigef ortschreiten der mensch-
lichen Kultur in den engen Alpenthälern bewahrt vor manchen
Verirrungen des Menschengeistes und des menschlichen Herzens,
aber infolge des Rückstandes in der Kultur, der sich ergeben muss,
brechen sich die grossen Wogen der Kultur an dem gewaltigen
Hochgebirge der Alpen wie die Wogen des Meeres an den Fels-
klippen der Küste: endlich die Religion, der der Umgang mit
einer grossartigen und die Abhängigkeit von einer feindseligen
Natur die Herzen der Alpenbewohner weit öffnete, dringt tief
in das Menschengemüt ein und wirkt veredelnd auf dasselbe,
aber sie ist, weil der Vergleich mit anderm Menschenhandeln fehlt,
auch nicht frei vom Geist des Fanatismus und der Unduld-
samkeit. Die Alpen bildeten gegen die Verbreitung
der menschlichen Kultur ein gewaltiges, hemmendes
Bollwerk. Die Kulturwoge, die im Altertum von den Mittel-
meerländern ausging, wurde auf ihrem Wege nach N abgelenkt
nach W, und erst von Westeuropa flutete sie weiter nach (). So
haben die Alpen das Geistesleben der europäischen Völker
stark beeinflusst und nicht bloss deren räumliche, sondern
auch deren geistige Trennung bewirkt, bezw. vergrössert.
Durch den bedeutenden Touristenverkehr, der sich in neuerer Zeit
in manchen Alpenthälern entfaltet, wird diese Kulturschranke wohl
etwas gelockert, aber doch nicht in dem Masse beseitigt, als man
gewöhnlich annimmt. Die Bewohner der meisten Alpenthäler
halten trotz des durchziehenden Fremdenstroms ihre tief in der
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T93: [Alpen See Schweiz Rhein Berg Bodensee Fuß Italien Schweizer Paß], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle]]
TM Hauptwörter (200): [T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T90: [Alpen See Schweiz Inn Rhein Bodensee Gotthard Paß Rhone Italien], T34: [Meer Wasser Land Küste Insel See Flut Fluß Tiefe Welle]]
96
Das Karpatenland und die Ungarische Tiefebene.
höfliches und freundliches Wesen, das ihm eine alte und
hohe Stufe der Gesittung aufdrückte, als auch durch seinen leb-
haften, besonders gern dem Schönen und Schöngeistigen zuge-
wandten Sinn aus. Die Zähigkeit des Norddeutschen geht ihm
vielleicht vielfach ab. Auf äussere Formen legt er ein grosses
Gewicht, was im gesellschaftlichen Leben überall hervortritt. Im
Verkehr bekundet er viel Gemüt. Durch nichts wird dieses aber
mehr bekundet, als durch die treue, gar nicht zu erschütternde
Anhänglichkeit an das Kaiserhaus, dessen Glanz in der Ge-
schichte der Stolz eines jeden ist.
Nächst den Deutschen sind die Ungarn das wichtigste Kul-
turvolk der Doppelmonarchie. Sie sind ein Volk von scharf aus-
geprägter Nationalität, dessen ganzes Denken und Empfinden
wie aus einem Guss ist. Der Geist seiner Geschichte ist in ihm
noch wach und noch wenig beeinflusst durch Kulturanschauungen
anderer Völker. Der Umstand, dass das Reitervolk der Ungarn
in Europa eine neue Heimat fand, die der alten, asiatischen ähn-
lich war und die Fortsetzung der gewohnten Lebensweise gestattete,
war der Erhaltung der urwüchsigen Stammeseigenschaften
günstig. Ein Hauptzug der ungarischen Volksseele ist die feurige,
glühende Vaterlandsliebe. Vielleicht nennt man diese rich-
tiger Stammesliebe, Liebe zum Volke. Sie lässt sich histo-
risch erklären aus dem Bewusstsein der Schicksalsgemeinschaft,
das einem umherstreichenden, auf der Suche nach neuen Wohn-
sitzen begriffenen Reitervolk sehr deutlich eingeprägt werden musste.
Die tausend Jahre, die seit der Besitzergreifung der Donautief-
ebene verflossen sind, haben nicht hingereicht, dieses Bewusstsein
zu verdunkeln, umso weniger, als die Ungarn, wie wir bei der
Besprechung der Siedelungsverhältnisse gesehen haben, an die
Stelle der frühem beweglichen Zeltdörfer feste von riesigem Um-
fange setzten, in denen sie fast wie in der früheren Horden- oder
Stammesgemeinschaft weiter lebten. Ein anderer Zug der ungari-
schen Volksseele ist ein ritterlicher Stolz, der im ganzen
öffentlichen Leben hervortritt. Er ist eine Eigenschaft, die einem
Reitervolk nicht fehlen kann, und die selbst dem gewöhnlichen
Manne nicht abgeht. Dieser erstrebt wohl die geachtete Stellung
eines Pferdehirten, aber nimmer würde er die verachtete eines
Schaf- oder Schweinehirten annehmen, die er dem Rumänen oder
Walachen überlässt. Den gebildeten Ungarn macht seine Ritter-
lichkeit zu einem äusserst angenehmen Gesellschafter. Alis der
Vaterlandsliebe und dem nationalen Stolze ging die Liebe zur
Muttersprache und die Anhänglichkeit an alte Sitten
und Gebräuche hervor.
Über die Stellung der ungarischen Sprache unter den übrigen
Sprachen der Erdenvölker, insbesondere der europäischen Völker ist erst in
neuester Zeit, vor wenigen Jahrzehnten, das Dunkel gelichtet worden. Durch
sprachvergleichende Studien wurde festgestellt, dass die ungarische Sprache mit
der einheimischen nahe und mit der türkischen entfernter verwandt ist, und
dass sie mit diesen zur'finnisch-ugrisc hen Abteilung der grossen ural-
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T153: [Donau Ungarn Land Hauptstadt Böhmen Königreich Wien Stadt Galizien Siebenbürgen], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen]]
Extrahierte Ortsnamen: Ungarn Ungarn Europa Donautief- Ungarn
72
Das Karpatenland und die Ungarische Tiefebene.
wenn wir die Gründe für die verschiedenartige Entwicklung der
menschlichen Kultur in der Grossen Ungarischen Tiefebene,
in dem Siebenbürgischen Hochlande und in den beide um-
gebenden Randgebirgen, den Karpaten, feststellen.
Die Grosse Ungarische Tiefebene. Beginnen wir mit der
-Betrachtung der Kultur Verhältnisse der Grossen Ungari-
schen Tiefebene, von dessen Landschaftsbilde wir soeben unseren
Blick wandten. Die natürlichen Verhältnisse des ebenen Landes
laden besonders zum Betriebe der Viehzucht und des Ackerbaus
ein, welche die Haupterwerbszweige der Bewohner bilden.
Der Viehzucht stehen ausgedehnte Grasfluren zur
Verfügung. Der wichtigste Zweig derselben ist die Pferdezucht.
Der Pferdereichtum Ungarns.
Dem Besucher Ungarns fallen besonders die grossen Pferde-
herden auf, die besonders die Steppengebiete in munterem Jagen
durchziehen. Der aussergewöhnlich starke Betrieb der Pferde-
zucht beruht auf geschichtlichen und auf natürlichen Grün-
den. Erstere haften sich an das Volk, letztere an das Land.
Als die Ungarn, die seit einem Jahrtausend die Landschaft
als vorherrschender Volksstamm bewohnen, aus den fernen Steppen
Asiens einwanderten, waren sie ein wildes Reitervolk. Das
feurige Ross war ihr Stolz, ihr Alles. In der alten Heimat hatte
es ihren ganzen Reichtum gebildet; die Milch der Stute war ihre
Nahrung. Kur mit den kleinen ausdauernden Steppenpferden hatten
sie die weite Wanderung nach dem Westen, nach Europas frucht-
baren Ackergefilden unternehmen und ausführen können, nur als
flinke und mutige Reiter hatten sie sich zu diesen den Weg bahnen
und die europäischen Völkerschaften, die sich ihnen meistens zu
Fuss entgegenstellen mussten, zu besiegen vermocht. Hieraus er-
klärt sich wohl zur Genüge, warum die Ungarn, nachdem sie end-
lich in feste Wohnsitze gelangt waren, vor allem Pferdezücli-
ter blieben. Sie blieben es einerseits aus Anhänglichkeit an
eine gewohnte und liebgewonnene Beschäftigung und
Lebensweise und anderseits, um nicht eine im Siege erprobte
Kampfweise aufgeben zu müssen.
Diese historischen Gründe für den starken Betrieb der Pferde-
zucht würden aber längst wirkungslos geworden sein, wenn sie
nicht von natürlichen Gründen, die in der Lebensnatur der
Grossen Ungarischen Tiefebene liegen, gestützt worden wären.
Die Ungarn fanden in letzterer eine neue Heimat, die mit* der
alten nicht wenig Ähnlichkeit zeigte, und die Beibehaltung der
alten Lebensweise gestattete. Auf den Pus s ten (= öde Flächen,
slaw. = wüst) an der Theiss und Donau konnte der Ungar ebenso
frei seine Rosse tummeln, wie auf den Steppen Asiens. Das harte
und kurze Gras, das dem Boden entspriesst, war für das Rind,
dessen Zucht die umwohnenden Völkerschaften, besonders die Be-
wohner der Alpenthäler bevorzugten, ein schlechtes Futter. Auch
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Extrahierte Ortsnamen: Siebenbürgischen_Hochlande Ungarns Ungarn Asiens Europas Ungarn Donau Asiens
168
Das Französische Mittelgebirge und Flachland.
vollständig gesunde Wurzeln seiner Kraft, und es hat noch
in jüngster Zeit so grosse Erfolge erzielt — nur an die
Schaffung eines grossen Kolonialreichs und an die Veran-
staltung der grossartigen Pariser Weltausstellungen sei
erinnert —, dass wir es auch im 20. Jahrhundert als eines der
bedeutungsvollsten Kulturvölker auf der grossen Welt-
bühne begrüssen müssen.
13. Kultureigentümlichkeiten und Volksleben.
Man ist in Deutschland nur zu leicht geneigt, das Pariser
Leben und den Pariser Glanz und Luxus als allgemein gültiges
Beispiel für das französische Lebensbild gelten zu lassen. Nichts
ist verkehrter als dies. Auch die einzelnen Gegenden Frank-
reichs haben ihre Eigenarten in Sitten und Gebräuchen, die
Volksanschauungen sind sehr verschieden, aber Einfach-
heit und Lebensernst sind Grundzüge, die in den meisten
Gegenden noch genügend das Volksleben beherrschen. Bei
einem raschen Fluge durch Frankreichs Länderräume werden wir
staunen, wie viel urwüchsiges und gesundes Leben wir überall
noch, allerdings bei mancher Schwäche, antreffen.
Schweifen wir zuerst hinüber nach Nordfrankreich, zu
Flanderns reichen, schönen und reinlichen Städten mit den
arbeitsamen und würdigen Bewohnern. Hier herrscht in den
Wochentagen der Ernst des Lebens, des Sonntags aber eine ruhige,
nicht ausgelassene Heiterkeit. Überall ist Wohlstand zu erkennen.
In Flandern ist der Wunsch des französischen Königs Heinrich Iv.
in Erfüllung gegangen, dass am Sonntage jeder Bürger sein Huhu
im Topfe habe. Unter der Bevölkerung erkennen wir zwei Rassen,
eine helle germanische, die den Vlamen verwandt ist, und eine
mehr dunkle g all or o manische. Auch durch manche Sitten er-
innert sie weniger an französisches als an germanisches Wesen.
Die Vorliebe für starkes Rauchen ist z. B. echt holländisch, die
Vorliebe für Bier echt deutsch.
Auch in der benachbarten Normandie steckt noch ein
gutes Stück Germanentum, obschon die einstigen Normannen
schnell romanisiert wurden. Einen starken skandinavischen An-
strich haben besonders die Fischerdörfer ander normannischen
Küste bewahrt. Beim Anblicke der grossen, starkgebauten
Fischer, die von ihren Weibern bei fast allen Arbeiten unter-
stützt werden, glauben wir uns auf die iriesischen Inseln versetzt.
Sie haben dieselbe Tracht wie die dortigen Fischer. Sie tragen
einen dicken, wollenen, lang herabreichenden Überrock, lange See-
stiefel, die fast die ganze Länge der Beine umschliessen, und eine
weite leinene Überhose, die über die Stiefel angezogen wird und
bis zu den Knieen reicht. Die Hütten zeichnen sich nicht
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Extrahierte Personennamen: Ernst Heinrich_Iv Heinrich Fischer Fischer
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Frankreichs Nordfrankreich Flandern